Der Alte

Zögernd tritt er aus dem Schatten des Blumenkübels, hebt das mächtige Haupt empor, streckt die feuchtglänzende Nase in die schwülstige Luft der Kaufhausentlüftung und wittert, macht dann bedachtsam ein paar Schritte und verharrt nun lange in der gleichen Stellung. Dunkelbraun ist sein müllverkrustetes Fell und die zerzauste Rute zeigt die Spuren vieler siegreich beendeter Kämpfe. Die Eingeborenen der Fußgängerzone kennen ihn gut, den einsamen Rauhhaarteckel. Scheu und ehrerbietig blicken sie zu ihm hin, wenn sie mit ihren Plastiktüten an ihm vorbeistreichen.

Seit Wochen schon tritt der alte Kämpe allmorgendlich auf die Fußgängerzone hinaus, um hastig einige Gyros- und Bulettenreste zu verschlingen, peitscht grimmig mit dem zerzausten Schweif seine Flanken, wenn ihn die Flöhe wieder quälen. Lange Jahre war der alte Rauhhaarteckel der Schrecken der Imbissbuden. Mit gefletschten Zähnen brach er prasselnd durch das Unterholz der vielen Beine am Pizzastand und riß den verblüfften Kunden die Salami von der Pizza.

Dies war sein Revier, die Wildnis der Innenstadt. Früher hätte er eine heruntergefallene Currywurst nicht einmal angesehen, der erbarmungslose Kampf war seine Welt: Wenn der Alte sein mächtiges Haupt emporrichtete und seiner Kehle ein tiefes Grollen entfuhr, zitterten die Eingeborenen hinter den Resopaltheken. Zornig schnaubend stürzte er sich dann auf die Würste und Schnitzelrohlinge. Nur einmal gelang es seinem ärgsten Feind, der gierigen Friteuse, ihm den Schweif zu versengen. Doch während der Alte mit ein paar Blessuren davonkam, stöhnten die Kunden der Bratwurstbude noch monatelang über den ranzigen Geschmack ihrer Pommes frittes. Ein andermal versuchte ein Kaufhausdetektiv ihm den Diebstahl einiger Dosen Hundefutter anzuhängen. Niemals hatte er von diesem Pudelfraß etwas angerührt - der Detektiv kam mit einer böse eiternden Wunde noch einmal davon.

Gut, sein Leben war nicht immer einfach gewesen, aber er hatte mehr geile Hündinnen gehabt als die kastrierten Softies an der Leine, die sich abends schmachtend die Models auf den Hundefutterdosen anguckten.

Mittlerweile war es Mittag geworden, sengend strahlten die Neonlampen auf das weite Haschbetonpflaster ein paar Stadtangestellte stiessen angewidert mit ihren Stiefelspitzen in die räudigen Flanken eines mottenzerfressenen Teckelkadavers. Liebe Tierfreunde, die Adventszeit ist die Zeit der Besinnung, auch wir können eines Tages tot in der Fußgängerzone liegen. Daran sollten wir immer denken.

(getippt von Thomas Bunz)


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