Der graue Räuber

In den lauen Nächten des keimenden Frühlings kann das weibische Bettgestell einem alten Recken wie mir nur wenig bieten. Frohen Mutes erklimm ich dann in aller Herrgottsfrühe den kunstledernen Rücken meiner Kreidler und brumme in den Morgen hinaus - heißa jetzt geht's auf die Pirsch. Kilometerlang verfolge ich einen Radfahrer, bis ihm vor Angst der Lecker weit aus dem Äser hängt; mit mir und der Welt zufrieden, schwenke ich dann ab und hefte mich dem vielgeplagten Meister Lampe auf die Fersen. Hakenschlagend stiebt Mümmelmann davon, ehe der Vorderreifen meines Mopeds den Schweiß des Löffelträgers lecken darf.

Doch heut' ist's mir einerlei, heut' gilt mein Ausflug im Morgengrauen dem mächtigsten Schnitter im Revier, dem grauen Räuber, der unten im Tal dem Wild das Fürchten lehrt. Vor Jahren noch war dies hier ein stiller und friedlicher Ort, an dem Tollwut und Büchse in Ruhe den Wildbestand gezehntet haben. Heute bietet sich hier für den motorisierten Tierfreund eine schöne Gelegenheit, dem ein oder anderen Stück Niederwild das kalte Eisen seines treuen Gefahrtes schmecken zu lassen.

Anders als im Forst brauchen wir hier auf der Landstraße auch nicht die Konkurrenz der Grünröcke zu fürchten. Der graue Räuber, dieses letzte Stück Wildnis macht uns Menschen noch einmal zum uneingeschränkten Herrscher über das Tier. Das Gesetz der Teerstraße ist hart, es kennt keine SchonZeiten, keine Hege; es kennt nur Töten des Unachtsamen, des. Schwachen und sei es die Milbenricke im Augenblick des Setzens. Die Kerbtiere zucken im Schweiße ihres Angesichts, wenn die Stahlgürtelreifen meiner Kreidler über den blanken Asphalt sirren. Was für eine Freude ist es doch für einen Tierforscher wie mich, die noch warme Maschine an einen Leuchtpfahl zu lehnen, zu Fuß die zurückgelegte Strecke noch einmal abzuschreiten, um sie zu verblasen.

Kaum fünfzig Meter zurück hat es einen kapitalen Mistkäfer erwischt, sein blau schimmernder Balg funkelt in der Morgensonne und wird eins mit dem nüchternen Grau des Bitumens. Ein paar Schritte weiter hat eine Nacktschnecke ihr frivoles Leben endgültig aufgegeben. Gut lachen hat dagegen ihr Vetter, der Regenwurm, der schon so früh am Morgen auf der Straße seinen Einsatz verdoppeln konnte. Auch eine Füchsin, vom plumpen Reizen der Waidgesellen aus dem Forst vertrieben, verfing sich schon mal im Gestrüpp meiner Vorderradspeichen.

Liebe Tierfreunde, auch in Ihrer Umgebung gibt es noch Gebiete, die sich dem Zugriff des Menschen bisher entzogen haben und noch nicht zum Naturschutzgebiet erklärt worden sind. Wenn auch Sie über einen treuen Waidkameraden verfügen, wie es meine Kreidler für mich ist, dann wünsche ich Ihnen Waidmannsheil auf allen Straßen.

(getippt von Thomas Bunz)


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