Begegnung mit der Raubwanze

Der Bahnhof Schwegermoor. Rostige Gleise schlängeln sich durchs kniehohe Steppengras. Zwischen den borkigen Schwellen häutet sich selbstvergessen eine Dose Champignons dritter Wahl in der mittäglichen Sonnenglast. Seit Jahrzehnten fährt kein Zug mehr hinaus in die Wildnis, denn der Torfabbau wurde eingestellt und die Diamantenförderung lohnt sich nicht, da es hier keine gibt. So treibt sich denn allerlei Gesindel am Bahndamm herum; das übelste Gelichter der ganzen Tierwelt hat hier einen Unterschlupf gefunden. Was auf den ersten Blick wie ein harmloser, weggeworfener Ölkanister aussieht, der die Reste seines wertvollen Inhalts brüderlich mit dem dahinplätschernden Bache teilt, erwacht plötzlich zum Leben, das Wesen löst sich vom Grunde und steigt glucksend an die Wasseroberfläche. Anmutig kacheln die Stummelbeine, atmend knarren die Tracheendeckel in ihren Scharnieren. Der alte Räuber ist ausgeruht und rüstet sich zur Jagd. Vorsichtig klettert die Raubwanze an Land. Schon straffen sich die Muskeln des kräftigen Tieres, alles an ihm ist Bereitschaft und Wachsamkeit: der mächtige Wanzenrüde hat eine streunende Katze entdeckt und ist bereit für den Angriff. Mit einem Satz ist er plötzlich bei ihr und saugt mit 10 Atmosphären Unterdruck dem Grautiger das Gekröse aus dem Leib.

Behutsam falte ich die Katzenhülle auf DIN A6 und klemme sie auf den Gepäckträger meiner Kreidler Florett. Erst jetzt fällt mir auf, wieviel Hüllen hier im hohen Gras herumliegen. Direkt neben einer Teckelhülle ruht die dazugehörige Försterhülle. Hier haben die Raubwanzen ganze Arbeit geleistet. Tadellos ausgewaidet lümmelt sich dort der Waidmann hin - mitten im Dienst.

Aus Angst, auf einer Kreidlerhülle nach Haus tucken zu müssen, verlasse ich den unwirtlichen Ort. Der meditative Gesang der Zweitaktmaschine vertreibt sehr schnell die düsteren Gedanken und mir geht Grundsätzliches durch den Kopf. In meinen "Wild-und-Hund-Kalender" werde ich abends eintragen: Von den Raubwanzen lernen: Nicht der äußere Schein, die inneren Werte zählen wirklich. So dachte ich damals, brummte mit der Kreidler durch den sonnendurchfluteten Nachmittag und verspürte so etwas wie Glück in mir. Leutselig grüßte ich zurück, wenn eine Schule Schmeißfliegen mich ein Stück des Wegs begleitete. Als ob sie mit einstimmen wollte, trommelte die Katzenhülle auf dem Gepäckträger monoton gegen das grüne Versicherungsschild.

(getippt von Thomas Bunz)


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